JA zur Wehrpflicht
Bei der Diskussion über das Berufsheer geht es nicht um Katastrophenschutz oder Zivildienst, sondern es geht um die Frage: Selbstbehauptung oder Selbstaufgabe.Eine Doku des Arbeitskreises Miliz, von Erich Cibulka, MjrdhmfD

Angesichts drohender Stimmenverluste trat der Wiener SPÖ-Vorsitzende Michael Häupel während des Wiener Wahlkampfes im Herbst 2010 die Diskussion um eine Abschaffung der Wehrpflicht los. Damit brachte er eine innenpolitische Diskussion ins Rollen, die möglicherweise im Sommer 2011 in einer Volksbefragung münden wird.Die politische Diskussion ist – wie in Österreich leider üblich – oberflächlich. Es geht erst in zweiter Linie um Fragen wie Zivildiener im Sozialbereich, Katastrophenschutz bei Hochwässern oder Auslandseinsätze: primär geht es um die Frage, ob sich Österreich in einer Krise behaupten und seine Bevölkerung schützen kann. Mit einem Berufsheer kann es das nicht. Warum ein Berufsheer diese Aufgaben nicht erfüllen kann, ist leicht durch die Antworten auf folgende grundlegende Fragen erklärbar: - Was sind die Aufgaben des Bundesheeres?- Wie viele Soldaten benötigt man zur Erfüllung dieser Aufgaben?- Mit welchem Wehrsystem – also Berufsheer oder allgemeine Wehrpflicht mit Miliz - können diese Aufgaben bestmöglich erfüllt werden?

1. Zu den Aufgaben des Bundesheeres:

In der politischen Diskussion wird oftmals die Frage gestellt, welche Aufgaben Streitkräfte allgemein, in concreto das Bundesheer, heute noch haben. Untermauert wird diese Frage mit Argumenten wie dem Ende des Ostblocks, der Tatsache, dass wir von befreundeten Staaten umgeben sind, oder der EU-Mitgliedschaft.

Die Aufgaben des Bundesheeres sind in der Bundesverfassung festgelegt und lauten wie folgt:

* Militärische Landesverteidigung

* Sicherheitspolizeilicher Assistenzeinsatz auf Anforderung des Innenministeriums oder der nachgeordneten Sicherheitsbehörden;

* Katastrophenassistenz auf Anforderung der für die jeweilige Katastrophe zuständigen Behörde.

* Auslandseinsätze des Bundesheeres zur Friedenssicherung, humanitären und Katastrophenhilfe sowie für Such und Rettungseinsätze.

Aus der Verfassungsrechtslage ergibt sich, dass Militärische Landesverteidigung und Auslandseinsätze als gleichwertige Aufgaben anzusehen sind, weshalb Vorkehrungen für beide Aufgaben getroffen werden müssen.

Militärische Landesverteidigung im heutigen politischen Umfeld:

Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes hat die „Klassische Landesverteidigung“, realisiert im Konzept der Raumverteidigung, eine massive Veränderung erfahren. Detailaufgaben der Militärischen Landesverteidigung sind heute

* Raumschutz gegen „subkonventionelle“ Bedrohungen und die

* Aufwuchsfähigkeit zum Wiederaufbau im Fall einer konventionellen Bedrohung

Zum Raumschutz:

Diese Aufgabe hat durch die Tatsache des weltweiten Terrorismus an Bedeutung gewonnen. Gerade das verstärkte Engagement Österreichs im internationalen Bereich wie EU, UN, OSZE oder NATO-PfP kann Österreich auch als Zielland interessant machen. Dies erkennend, hat auch die EU ein eigenes Programm zum Schutz „kritischer Infrastruktur“ beschlossen.

Raumschutz als Antwort auf diese Bedrohungen hat den Schutz bedrohter Objekte und Linien, die für die Lebensgrundlagen des Staates und seiner Bevölkerung von substantieller Bedeutung sind, zum Ziel.

Zu schützende Objekte können beispielsweise Regierungsdienststellen auf Bundes- und Landesebene wie Bundeskanzleramt, Bundesministerien, Landesregierungen, Wasserversorgungseinrichtungen, Gas- und Stromwerke und im digitalen Zeitalter von besonderer Bedeutung, Rechenzentren sein. Zu schützende Linien können etwa wichtige Verkehrslinien, also Autobahnen oder Eisenbahnstrecken, Energieleitungen, insbesondere Stromleitungen und Gaspipelines oder Wasserversorgungsleitungen sein.

Zur Aufwuchsfähigkeit:

Auch eine Krise an einer Staatsgrenze ist nicht auszuschließen und bedarf entsprechender Vorkehrungen. Wenngleich die Wahrscheinlichkeit einer konventionellen Bedrohung zu Land zurzeit nicht wahrscheinlich ist, gehört es zu den Kernaufgaben eines Staates, für eine entsprechende Aufwuchsfähigkeit seiner Streitkräfte zu sorgen. Es gilt, das Wissen und die Fertigkeiten in allen nötigen Bereichen zu erhalten. Nur so kann im Falle der Änderung der sicherheitspolitischen Lage eine Vergrößerung entscheidender Truppenteile sichergestellt werden.

Hingegen würde es im Falle einer Totalabschaffung ganzer Waffengattungen, etwa Düsenfliegerei, Panzertruppe oder Artillerie mehrere Jahre dauern (die Ausbildung eines BrigKdt dauert ca. 20 Jahre!), bis das Wissen in diesem Bereich wiedererlangt würde. Das im Falle einer Krise hiezu keine Zeit bliebe, leuchtet ein.

2. Wie viele Soldaten sind nötig?

Die nötigen Kräfte zur Erfüllung dieser Aufgaben seien am Beispiel des Raumschutzes, also des Schutzes kritischer Infrastruktur dargestellt:

In Österreich kann man etwa von rund 1000 Schutzobjekten ausgehen, also etwa 100 bis 120 Schutzobjekte pro Bundesland. Rechnet man pro Schutzobjekt eine Kompanie mit 100 Mann, so kommt man für einen österreichweiten Grundschutz auf rund 100.000 Mann Infanterie.

Dazu kommt Führung, Versorgung, Sicherung des Luftraumes sowie das Bereithalten von Pionier, Sanitäts-, ABC- und Luftransportkräften für Maßnahmen nach einem Anschlag.

Weiters benötigt man Ablösen! Erst Kräfte zur Ablösung erlauben es, ein Schutzniveau über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten. Insgesamt wäre also eine Heeresstärke von 120- bis 150.00 Mann ein adäquater Streitkräfteumfang für einen Kleinstaat, der nicht in ein militärisches Bündnis integriert ist.

Das einzige Wehrsystem, das einen solchen Umfang unter unseren budgetären Rahmenbedingungen sicherstellen kann, ist die allgemeine Wehrpflicht, organisiert in einer Milizstruktur.

3. Mit welchem Wehrsystem – also Berufsheer oder allgemeine Wehrpflicht -können diese Aufgaben bestmöglich erfüllt werden?

Zum Vergleich: für ein Berufsheer werden Stärken von etwa 15 bis 20.000 Personen diskutiert - zur Zeit hat das Bundesheer einen Friedensstand von rund 30.000 Soldaten davon rund 15.000 Berufssoldaten und etwa gleichviel Wehrpflichtige, die Mobilmachungsstärke beträgt 55.000 Soldaten und Soldatinnen. Mit diesen Kräften kann bereits heute der Schutz kritischer Infrastruktur nur teilweise sichergestellt werden. Durch die allgemeine Wehrpflicht ist es jedoch möglich, jederzeit aus den „Topf“ aller 1,8 Millionen männlichen Wehrpflichtigen die Heeresstärke bei einer Änderung der sicherheitspolitischen Lage „hinaufzufahren“.

4. Gegenüberstellung der Modelle Berufsheer - Wehrpflichtigenheer:

Modell Berufsheer - das Scheitern ist sicher!

Das Scheitern ist deshalb sicher, weil die österreichischen Erfahrungen der letzten Jahrzehnte gezeigt haben, dass die Freiwilligenaufkommen immer weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind:

- In den 70er und 80er Jahren wollte man die Bereitschaftstruppe mit 15.000 Längerdienenden aufstellen - tatsächlich wurden nie mehr als 8000 Mann erreicht.

- Ebenfalls in dieser Zeit versuchte man Freiwillige für die Unteroffizierslaufbahn in der Miliz zu finden - da die Meldungen weit hinter den Erwartungen zurückblieben, führte man Ende der 70er Jahre Kaderübungen ein, zu denen 12% jeden Geburtsjahrganges verpflichtet werden konnten.

- Ab 2003 versuchte man genügend Freiwillige für spezielle Einheiten für Auslandseinsätze zu finden: Auch hier erreichte man statt der geplanten 2500 Mann nur knapp mehr als die Hälfte.

Das Argument, durch höhere Entlohnung mehr Freiwillige zu finden, ist unrealistisch. Gerade die massiven Sparmaßnahmen haben gerade die gegenwärtige Diskussion ausgelöst, alle SPÖ-Politiker betonen, dass ein Berufsheer nicht mehr kosten wird.

Neben fehlendem Geld sprechen jedoch auch gesellschaftspolitische Argumente gegen eine massiv höhere Entlohnung: es würde von Politik und Öffentlichkeit niemals akzeptiert werden, dass ein Mannschaftssoldat oder junger Unteroffizier mehr verdient als etwa ein Junglehrer oder eine Turnusärztin. Ohne Geld gibt es jedoch zu wenig Freiwillige!

Ein weiters Argument ist die Ausländerintegration (natürlich mit österreichischen Paß): gerade der Grundwehrdienst trägt zur Integration von Ausländern und Österreichern entscheidend bei.

Modell Wehrpflicht: es funktioniert!

Durch die Wehrpflicht ist rechtlich der Zugriff auf alle Wehrpflichtigen vom vollendeten 17. bis zum 50. Lebensjahr sowie auf Offiziere, Unteroffiziere und Spezialkräfte bis zum 65. Lebensjahr möglich. In Summe sind dies rund 1,8 Millionen Österreicher, die nach derzeitiger Gesetzeslage zu einem Einsatz einberufen werden können.

Mit der Wehrpflicht können jederzeit die „Friedensaufgaben“ wie Katastrophenhilfe, sicherheitspolizeilicher Assistenzeinsatz und Luftraumüberwachung erfüllt werden. Zusätzlich besteht auf Grund der Ausbildung und entsprechender Mobilmachungsvorbereitungen jederzeit die Möglichkeit, weitere zehntausende Männer aus dem Pool von 1, 8 Millionen Mann einzuberufen. Maßstab ist allein die Notwendigkeit. Die Gegenüberstellung Wehrpflicht-Berufsheer lautet also: hier die verfassungsrechtlich gewährleistete Heranziehbarkeit von 1,8 Millionen Wehrpflichtigen - dort geplante ca. 50.000 Freiwillige, deren Aufbringbarkeit mehr als unsicher ist.

5. Konsequenzen der Abschaffung der Wehrpflicht:

Erste Konsequenz wäre, dass der Friedensstand des Bundesheeres sofort radikal sinken würde, da die jederzeit vorhandenen 12.000 Präsenzdiener fehlen. Größere Einsätze wie etwa das Kamptalhochwasser vor vier Jahren wären nicht mehr machbar. Der Erfolg der geplanten Freiwilligenwerbung ist mehr als fraglich, wie die bisherigen Erfahrungen zeigen.

Zweite Konsequenz wäre die Auflassung ganzer Waffengattungen,

dritte die radikale Reduktion der Kasernen in allen Bundesländern.

Vierte Konsequenz wäre die Schutzlosigkeit. In einer Krise könnte Österreich de facto nicht mehr reagieren, da die Zahl der vorhandenen Kräfte einfach zu gering ist.

6. Abschließend: ein Appell an „die Politiker“

Die Wiener Wahlen sind vorbei. Trotz „Wehrpflicht-Abschaffen“ hat Häupel kräftig verloren. Die angeführten Argumente sind allen Verantwortungsträgern bekannt. Es wäre also an der Zeit, sich zur staatspolitischen Verantwortung zu bekennen und klar „JA zur WEHRPFLICHT“ zu sagen.

Ein kleiner Tipp noch zum Abschluss: wer glaubt, dass der ewige Friede ausgebrochen ist, und eine Änderung der sicherheitspolitischen Lagen nicht möglich sei, möge sich im Buchhandel einen historischen Atlas kaufen und einmal durchblättern!

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